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Frau Koll, Sie haben einen Roman über Mechthild von Magdeburg geschrieben. Wer ist diese Frau?
Julia Koll: Sie war eine Mystikerin und Schriftstellerin im 13. Jahrhundert, wahrscheinlich sogar die erste Frau, die auf Deutsch geschrieben hat. Es gibt aber so gut wie keine Belege für ihr Leben. Ob sie adliger Herkunft war, ob sie als Begine gelebt hat – das ist alles Spekulation. Selbst der Zusatz „von Magdeburg“ stammt erst aus dem 19. Jahrhundert. Nur ein einziges Buch ist von ihr überliefert: „Das fließende Licht der Gottheit“, entstanden über einen Zeitraum von über dreißig Jahren. Dieses Buch aber ist stilistisch wie inhaltlich so rasant, dass es die Mediävistik bis heute beschäftigt. Bekannt sind vor allem die erotischen Dialoge zwischen Gott und der Seele. Mechthild sprüht aber auch sonst vor Einfallsreichtum. Es gibt sowohl richtig lustige Passagen in ihrem Buch, kleine Alltagserzählungen wie auch tiefsinnige Erörterungen.
Was hat Mechthild heutigen Frauen – und auch Männern – noch zu sagen?
Koll: Die Mechthild, die ich erfinde, ist eine leidenschaftliche Gottessucherin, und sie bleibt es Zeit ihres Lebens. Ich glaube: Jede, die religiös auch nur ein bisschen musikalisch ist, kann mit einer solchen Suche etwas anfangen. Zumal Mechthild früh im Leben auf eine universelle Antwort auf die Gottesfrage stößt, nämlich die Minne, also die Liebe in ihrer tiefsten und umfassendsten Form. Aber was heißt es zu „minnen“? Welche Lebensform entspricht der Minne? Lässt sich solch ein Lieben auf Dauer stellen? Auch das sind ja keine ungewöhnlichen Fragen. Auf die eine oder andere Art stellen sie sich für jeden Menschen, der aufrecht, herzensklug und mit allen Sinnen leben will.
Hat die Beschäftigung mit Mechthild und das Schreiben dieses Buches Rückwirkungen auf Ihre Arbeit als Direktorin an der Evangelischen Akademie Loccum? Anders gefragt: Hat das Buch auch eine gesellschaftspolitische Dimension?
Koll: Nun, in erster Linie huldigt mein Buch der Freiheit der Kunst – und es ist traurig genug, dass selbst dieses Bekenntnis heutzutage schon gesellschaftspolitische Relevanz besitzt. Ich will damit nichts bezwecken und verfolge keinerlei politisches Programm. Aber die Figur Mechthild strahlt natürlich etwas aus. Sie war ein Freigeist und eine Wandererin zwischen den Welten – immer in der Gewissheit, dass Gott sich in der tiefsten Tiefe offenbart. Dieser Mut, diese Hingabe – das ist die politische Schlagseite der Mystik, die bis heute nichts von ihrer Inspiration eingebüßt hat.
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