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Frau Dallmeier, was hat Sie an Franziskus von Assisi so fasziniert, dass Sie ihm ein Musical, ein Materialheft und eine Fortbildung widmen?
Hanna Dallmeier: Wir leben in einer Welt der Krisen, und gerade Kinder spüren das Krisenhafte sehr deutlich: Klimakrise, Kriege, Wirtschaftskrise, Ausgrenzung, Rassismus, Selbstoptimierung bis zur Selbstzerstörung und vieles mehr. Auch die Zeit von Franziskus von Assisi war eine krisenhafte Zeit und er hat faszinierende Antworten gefunden: Statt Ausbeutung der Natur spricht er von allem Lebendigen und Geschaffenen als Brüder und Schwestern und bringt die Schöpfung damit auf Augenhöhe mit uns Menschen. Statt die Kreuzzüge seiner Zeit zu unterstützen, ging er unbewaffnet ins Lager des muslimischen Sultans und führte ein interreligiöses Friedensgespräch. Statt immer mehr haben zu wollen, gab er freiwillig allen Besitz auf und lebte mit den Armen und selbst in Armut – im Vertrauen darauf, dass Gott für uns sorgt und die Gemeinschaft trägt. Statt ewiger Jugend und Tabuisierung von Leid und Sterben sprach er von der „Schwester Tod“, die uns sanft begleitet, wenn das Leben zu Ende geht. Es finden sich so viele Aspekte im Leben des Franziskus von Assisi, da könnte man auch eine ganze Fortbildungsreihe draus machen.
Franziskus von Assisi: Ein alter weißer Mann?
Dallmeier: Franziskus hat vor 800 Jahren gelebt. Aber er selbst ist gar nicht alt geworden, nur etwa 45 Jahre. Vor allem aber hat er in diesem kurzen Leben vieles in Bewegung gesetzt. Zum Beispiel ist seine Geschichte eng mit der Geschichte von Klara von Assisi verbunden, die mit ihm in engem Kontakt stand und eine Frauengemeinschaft gründete. Franziskus hat die Ordnungen seiner Zeit in Frage gestellt, er war ein sanfter Revolutionär, dessen Ideen bis heute wirken. Es ist kein Zufall, dass der gerade verstorbene Papst, der sich so sehr für die Ausgegrenzten und Armen dieser Welt eingesetzt hat, sich den Namen „Franziskus“ gegeben hat.
Hat Franziskus von Assisi gegen die Kinder-Medien-Helden von heute eine Chance?
Dallmeier: Franziskus ist tatsächlich ein Anti-Held. Er wollte zum Beispiel nie ein Anführer sein und über andere bestimmen. Ich finde, das Widerständige und Kreative in seinem Leben brauchen Kinder heute unbedingt! Sie werden statistisch noch im neuen Jahrhundert leben – wie wird unsere Welt dann aussehen? Sie sind es, die unsere alternde Gesellschaft in die Zukunft navigieren müssen! Das geht nur mit ganz viel Vertrauen ins Leben und mit einem großen Gemeinschaftssinn. Franziskus ist kein Super-Held, der selbst im Mittelpunkt stehen will, sondern einer, der sich mit den Kleinen klein gemacht hat, um sie groß zu machen. Sein Spitzname war „Poverello“: Der „kleine Arme“. Als „kleiner Bruder“ kommt Franziskus daher und macht Kinder stark, nicht zu allem in der Erwachsenenwelt Ja und Amen zu sagen.
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