Wenn man auf die Migrationsdebatte schaut, scheint der Schutz des Lebens nicht an erster Stelle zu stehen. Wie sehen Sie das?
Kirsten Fehrs: Ich betrachte die aktuelle Debatte um Flucht und Migration mit Sorge. Es scheint, dass der Ruf nach Abschottung gewinnt und der Schutz der Grenzen wichtiger ist als der der Menschenwürde. In dieser Debatte erheben wir als Kirche unsere Stimme und sagen ganz klar: Wir stehen für Menschenrechte und einen fairen Umgang mit Geflüchteten ein. Mitgefühl, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind zentrale Werte des Christentums, und wir werden diese weiterhin in die politische Debatte einbringen.
Das Kirchenasyl ist im vergangenen Jahr zunehmend unter Druck geraten. Haben Sie Sorge, dass diese Institution künftig an politischer Akzeptanz verlieren könnte?
Fehrs: Ja, das macht mir Sorgen. In den letzten Monaten wurden bundesweit mehrere Kirchenasyle von den Behörden beendet. Kirchenasyl bleibt oft die letzte Hoffnung für Geflüchtete. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um besondere Härtefälle, in denen beispielsweise schwerkranke Menschen in Länder abgeschoben werden sollen, in denen sie keine angemessene medizinische Versorgung erhalten. Es geht nicht darum, Gesetze zu umgehen, sondern darum, dass Behördenentscheidungen nach genauer Abwägung und Prüfung kritisch hinterfragt werden können. Das ist legitim – und es macht eine Gesellschaft menschlicher.
Die katholische Kirche hat sich klar gegen völkischen Nationalismus positioniert und dies in kirchliches Arbeitsrecht übertragen. Plant die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Ähnliches?
Fehrs: Die EKD-Synode hat sich bereits im November 2023 klar positioniert: Völkisch-nationales Gedankengut in Parteien ist mit christlichen Überzeugungen unvereinbar. Dass es in Landeskirchen auch zu Freistellungen von Mitarbeitenden gekommen ist, die sich für Ämter in der AfD zur Verfügung gestellt haben, ist bekannt. Wenn in einem Arbeitsverhältnis menschenverachtende und gar volksverhetzende Haltungen gezeigt werden, können wir arbeitsrechtlich einschreiten – völlig unabhängig davon, ob jemand sich in der AfD engagiert oder nicht. Dafür braucht es zwar keine weitere rechtliche Regelung. Aber ich halte es für möglich, dass die Synode im November das Thema erneut aufgreift.
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