Herr Adomeit, wie beurteilen Sie die Pläne der Bundesregierung und die Forderungen der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik, die unter anderem schnellere Abschiebungen und Zurückweisungen an den Grenzen beinhalten?
Thomas Adomeit: Seit einigen Jahren gibt es eine ganze Reihe von Krisen, die unsere Gesellschaft vor tiefgehende Veränderungen stellen. Angefangen mit dem Klimawandel über die Corona-Pandemie bis zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben Ereignisse unseren Alltag so stark verändert wie selten zuvor. Deshalb kann ich verstehen, wenn viele Menschen verunsichert sind und Angst haben, die Arbeitsplätze oder der bezahlbare Wohnraum könnten nicht für alle reichen. Ich denke allerdings nicht, dass Maßnahmen, die jetzt schnell auf den Weg gebracht werden, und auf ein einziges Thema reagieren, das geeignete Instrument sind, um den Ängsten zu begegnen.
Es ist richtig, dass die Aufnahme von immer mehr Menschen, die aus für sie guten Gründen gerne bei uns leben möchten, eine große Herausforderung ist. Das Grundrecht auf Asyl immer stärker infrage zu stellen, ist allerdings keine Lösung – weder unter humanitären noch spezifisch christlichen Überzeugungen. Ziel muss es sein, dass wir die rechtsstaatlichen Instrumente, die es schon gibt und die in den vergangenen Jahren immer stärker ausgebaut wurden, wirklich anwenden. Wenn es gelingen würde, Asylverfahren zügig und gleichzeitig sorgfältig durchzuführen, wäre das aus meiner Sicht wichtiger als die Maßnahmen, die jetzt sehr kurzfristig veranlasst werden.
Wie beurteilen Sie die Stimmung in der Gesellschaft gegenüber Geflüchteten auch vor dem Hintergrund der Stimmengewinne für die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen?
Adomeit: Neben Menschen, die von Ängsten geplagt werden, treffe ich auch viele Menschen, die mit viel Zeit und Kraft die Integration vorantreiben und dabei auch erfolgreich sind. Ich glaube nicht, dass wir durch eine Verschärfung von Maßnahmen, von denen nicht klar ist, ob sie überhaupt greifen, die Stimmung bei Teilen unserer Gesellschaft wirklich verändern. Wir sollten Menschen unabhängig von ihrer Herkunft einen guten Raum zum Leben geben. Schicksale und Härten von Menschen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Wir müssen uns fragen: Warum werden Abschiebungen augenscheinlich so oft bei gut integrierten jungen Menschen, womöglich schon in Ausbildung, durchgesetzt? Und warum gelingt es Straftätern, ihrer Abschiebung zu entgehen? Auch deshalb ist es viel entscheidender, dass die demokratischen Parteien und weitere gesellschaftliche Player – und da beziehe ich uns als Kirche mit ein – zusammenarbeiten, um die Dinge anzugehen, die Menschen Angst machen. Und da ist Migration ein Thema unter mehreren.
Verschiedene Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände haben die Wahrung von Demokratie und Menschenrechten angemahnt. Müssten sich die Kirchen und ihre prominenten Vertreter in diesen Zeiten deutlicher zu Wort melden und an die Seite der Geflüchteten stellen?
Adomeit: Als Kirchen haben wir uns in der Vergangenheit immer wieder zu Wort gemeldet und das werden wir auch künftig tun: Wir stellen uns an die Seite derjenigen, die keine Stimme und keine Lobby haben und sich nur bedingt selbst vertreten können. Wir haben in diesem Jahr so viele Demonstrationen für Demokratie und Zusammenhalt erlebt wie vielleicht nie zuvor, auch unter Beteiligung von Kirche und Diakonie. Wir müssen uns als Kirche einer Aushöhlung des Asylrechts entschieden entgegenstellen. Auch in Zukunft wird Kirche bei Initiativen und Projekten mitarbeiten, die sich für die Stärkung unserer Demokratie einsetzen. Und wir werden weiter in der praktischen Integrationsarbeit aktiv sein. Funktionierende Integration ist für mich der Schlüssel in der Debatte um Migration.
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