Frau Koll, die Evangelische Akademie Loccum ist sogar drei Jahre älter als das Grundgesetz. Welche Idee steckte seinerzeit aus Ihrer Sicht hinter der Gründung?
Julia Koll: Tatsächlich war der Impuls ein ganz ähnlicher: In der Gründung der evangelischen, aber auch der katholischen Akademien kommt das „Nie wieder“ zum Ausdruck, und auch der erklärte Wille, selbst einen Beitrag zu leisten zu einem gedeihlichen gesellschaftlichen Zusammenleben. So sehe ich unsere Arbeit bis heute als eine Art gelebtes Grundgesetz: Sie fußt auf dem Bekenntnis zu Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wohlwissend, dass diese Prinzipien gepflegt werden müssen, vor allem in Gestalt konstruktiver gesellschaftlicher Diskurse. Das ist unser Markenkern.
Wir erleben in vielen Debatten eine Polarisierung, manche Menschen sind Argumenten gar nicht mehr zugänglich. Welchen Beitrag kann eine Evangelische Akademie hier leisten?
Koll: Das ist eine schwierige und durchaus schmerzhafte Frage. Wir ringen damit genauso wie viele andere, die in dieser Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Eine Antwort liegt auf der Hand: Das Dilemma der gesellschaftlichen Polarisierung mit ihren unabsehbaren politischen Folgen gehört zu unserem Thementableau. Außerdem sind wir gerade dabei, uns in Sachen politische Bildung und Demokratieförderung noch stärker mit anderen Playern zu vernetzen, sowohl mit kirchlichen als auch mit zivilgesellschaftlichen. Genauso wichtig scheint mir aber dies: Dass wir dranbleiben, dass wir die Hoffnung hochhalten, dass gesellschaftliche Verständigung möglich ist.
Welche Themen sind für Sie am dringlichsten, wo wollen Sie Akzente setzen?
Koll: Über die hinaus, die wir gerade angesprochen haben, sind es zwei Themenfelder, die ich gerne stärken möchte: Zum einen das Feld der Kirchenentwicklung. Seit Jahrzehnten bewegen wir uns auf Umbrüche sondergleichen zu, auf die die Kirchenleitungen ja auch mit ihren Mitteln zu reagieren versuchen. Es fehlen aber Formate, um kollektive Phantasien für eine zukunftsfähige Kirche von morgen zu entwickeln.
Hier sehe ich die Akademien durchaus in der Pflicht. Mit all ihrer gesellschaftlichen, theologischen und eben auch kirchlichen Schnittstellenkompetenz stellen sie für mich die idealen Orte für solche Prozesse dar. Dabei sollte Kirchenentwicklung meines Erachtens auch die religionshermeneutische Dimension berücksichtigen, also das Ringen um ein zeitgenössisches Verständnis christlicher Religion und ihrer sozialen Formen.
Zum anderen liegt mir am Herzen, dass wir als kirchliche Akteurinnen und Akteure die Verbindung zur Gegenwartskultur pflegen. Musik, Theater, Literatur – das sind doch unsere natürlichen Partner, wenn es um die großen Fragen geht. In Loccum haben wir mit dem Campusambiente wundervolle Ausgangsbedingungen, um auch künstlerisch anregende Formate zu gestalten – die möchte ich gerne verstärkt nutzen.
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