Herr Bohne, warum braucht es einen Aktionstag wie den 20. Juni?
Lennart Bohne: Aktuell sind mehr als 114 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, so viele Menschen wie noch nie zuvor. Und die Zahlen steigen jährlich. Erfreulich ist, dass allerorten Menschen mit Fluchterfahrungen aktiv geworden sind und in gemeindlichen Angeboten mitarbeiten. Wahr ist aber auch: Obwohl ungefähr die Hälfte der nach Deutschland kommenden Migrantinnen und Migranten christlich ist, suchen sie ihre geistliche Heimat meist nicht in unseren Kirchengemeinden. Das hat unterschiedliche Gründe. So gehören sie zum Beispiel anderen Konfessionen, zum Beispiel römisch-katholisch oder orthodox, an. Oder sie haben pfingstlerische oder baptistische Traditionen, pflegen andere Frömmigkeitsstile, suchen muttersprachliche Gottesdienste. Für uns geht es natürlich auch um unsere eigene Offenheit und Haltung: Sehen wir in ihnen unsere Geschwister im Glauben, öffnen wir unsere Räume für ihre Gottesdienste, leben wir miteinander christliche Gemeinschaft?
Die AfD hat bei der Europawahl gerade große Erfolge gefeiert – eine Partei, die Abschiebungen und Ausweisungen verstärken und Deutschland quasi „einmauern“ möchte. Was bedeutet das in Ihren Augen?
Bohne: In einer Welt, in der Fluchtursachen zu- und nicht abnehmen, in der die Ungerechtigkeit sich noch weiter verstärkt, ist es keine Lösung, sich einzumauern. Dies wäre überdies überhaupt nicht möglich. Die AfD versucht ein Narrativ zu setzen, in dem Menschen mit Migrationsgeschichte eine wirtschaftliche und kulturelle Bedrohung darstellen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Deutschland benötigt in hohem Maße Zuwanderung, wenn es seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten und nicht extreme Wohlstandsverluste hinnehmen möchte.
Gibt es etwas, das Gemeinden tun können oder gerade jetzt mehr tun sollten?
Bohne: Unser Landesbischof Ralf Meister schreibt in seinem Grußwort zum Weltflüchtlingstag, dass jeder Tag Flüchtlingstag ist. In diesem Sinne können wir als Einzelne, aber auch als Gemeinden jeden Tag aktiv etwas tun: Wir können in persönlichen Gesprächen auf die menschliche Dimension von Heimatverlust und Neubeginn aufmerksam machen, sensibilisieren und Empathie für Schicksale wecken. Schließlich kann morgen jeder selbst ein Flüchtling sein. Wir können in der Gemeindearbeit Geflüchtete unterstützen und mannigfaltig Hilfe anbieten – beispielsweise ganz konkret bei Behördengängen, beim Deutschunterricht, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Wir wirken in der Seelsorge und können in unseren Gottesdiensten dieses Menschheitsthema immer wieder thematisieren. Die Bibel liefert uns viele Hinweise auf einen menschenwürdigen Umgang mit Schutzbedürftigen und Heimatlosen – es lohnt, sich daran zu erinnern.
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