Frau Rabe-Winnen, Sie sind dabei, ein „Segensnetzwerk“ aufzubauen. Was meint das?
Elisabeth Rabe-Winnen: Es gibt in unserer Landeskirche schon viel, das dem Geist sogenannter neuer Kasualkultur entspricht. Also einem Geist, der fragt: Was willst Du, das ich Dir tun soll? Tauffeste fragen so, wenn sie Kundenorientierung als Nächstenliebe verstehen. Und es gibt einige Regionen und Kirchenkreise, die sich um Kasualien neu aufstellen. Dies sichte ich und bringe die Menschen dieser Initiativen in Kontakt miteinander. Und ich berate dort, wo Kolleginnen und Kollegen sowie Teams sich in ihren Kontexten neu auf den Weg machen wollen. Denn: Biografien verändern sich und an manchen Stellen passen unsere traditionellen Rituale in ihrer Form nicht mehr, familiäre Konstellationen ändern sich. Ein Beispiel: Eine Alleinerziehende möchte sich bei der Taufe ihres Kindes vielleicht nicht den Blicken und Wertungen einer ganzen Gemeinde aussetzen und kann es sich vielleicht auch nicht leisten, ein großes Fest zu organisieren. Aber ein übergemeindliches Tauffest, bei dem viele getauft werden und die Feier und das Drumherum von den Gemeinden organisiert sind, nimmt sie gern wahr.
Man könnte sagen: Dann sollen die Pastorinnen und Pastoren doch individuell Lösungen finden. Warum braucht es ein Segensnetzwerk?
Rabe-Winnen: Wir sind ja längst auf einem Konkurrenzmarkt, mit freien Rednern bei Trauungen zum Beispiel. Auch wir müssen Lebensgeschichten wertschätzen und Menschen als Expertinnen und Experten ihres eigenen Lebens begegnen. Vielerorts passiert das bereits – Ausdifferenzierung und Individualisierung, liebevoll gestaltete Kasualien mit Raum für Partizipation und Gottesdienste, die nah am Leben sind. Letztlich geht es um eine Haltungsänderung: Nichts in starre Strukturen zu pressen, sondern die Form zu finden, die zu den beteiligten Personen passt. Viele Paare beispielsweise suchen nach Segen auch ohne Trauschein. Oder: Denken Sie zum Beispiel an die Fastenzeit – für die meisten Menschen liegt diese mittlerweile im #DryJanuary und nicht mehr vor Ostern. Wie bringen wir das zusammen?
Ein wesentlicher Kritikpunkt lautet, die Parochie breche weg, die Bindung der Menschen zu „ihrem“ Pfarramt werde gelockert. Was erwidern Sie darauf?
Rabe-Winnen: Die Erfahrungen bisher zeigen deutlich, dass andere Leute zu den neuen Angeboten kommen, dass wir andere Zielgruppen erreichen. Es geht nicht um Konkurrenz zur Parochie, sondern weitere und andere Wege und Zugänge. Ich glaube nicht, dass die Kirche oder der Gottesdienst untergehen, aber wir brauchen Neues, wo Dinge wegbrechen. Über die Kontaktpunkte des Lebens – das sagen auch Soziologen – bleiben wir im Kontakt mit den Menschen; und das nicht nur mit unseren Mitgliedern.
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