Frau Erichsen-Wendt, die Menschen erwarten weiterhin viel von der Kirche. Allerdings vor allem hinsichtlich ihres sozialdiakonischen Engagements – und weniger in Glaubensfragen. Wie soll die Kirche damit umgehen?
Friederike Erichsen-Wendt: Zunächst einmal ist es erfreulich, dass Menschen die Kirche nicht egal ist. Sie benennen, was ihnen an der kirchlichen Arbeit wichtig ist. Im sozialdiakonischen Engagement der Kirchen kommt in die Tat, was Christinnen und Christen glauben. Die Erwartungen von Menschen entsprechen insofern ja dem, wie Kirche sich auch selbst versteht. Die Herausforderung an kirchliche Organisationen entsteht dort, wo Menschen – modernitätstypisch – viel erwarten, ohne dass sie sich dadurch aber an die Organisation binden. Kirchen müssen jetzt und werden zukünftig noch viel mehr entscheiden müssen, an welchen Stellen sie investieren können. Das hat zum einen mit ihrer ökonomischen Situation zu tun, vermutlich aber noch viel mehr damit, dass es immer weniger Menschen geben wird, die verbindlich für kirchliches Leben einstehen.
Was bedeuten die schwindenden Mitgliederzahlen für die Zukunft von Gottesdiensten und Kirchenmusik?
Erichsen-Wendt: Etwa jedes achte Mitglied der evangelischen Kirche sagt, dass es den Kirchgang für wichtig hält. In den letzten 30 Jahren ist der Gottesdienstbesuch in evangelischen Kirchen um etwa 7 Prozent gesunken, das ist ein langsamer, aber stetiger Trend. Von den Menschen, die mehr als einmal im Jahr in den Gottesdienst gehen, tun dies fast 90 Prozent aus einem besonderen Anlass, etwa einer Taufe, Trauung oder Beerdigung. Menschen erwarten eine stimmige Atmosphäre und intellektuell ansprechende Predigten. Das sind konkrete Gestaltungsaufgaben, die sich nicht von selbst erledigen, sondern erhebliche Ressourcen und Kräfte binden – das ist aus meiner Sicht nicht zu unterschätzen. Kirchenmusik zeigt sich dabei als „Anker“ kirchlichen Lebens im Blick auf Mitglieder. Punktuell gelingt es auch, andere anzusprechen. Viele sind langjährig dabei und verfügen über einen hohen Bildungsabschluss. Kirchenmusik ist ein gutes Beispiel für eine sogenannte „sozioreligiöse Praxis“ in der Kirche: Menschen kommen zusammen und erleben im gemeinsamen Tun, auch in Gemeinschaft und Geselligkeit, etwas, was sie selbst als religiös qualifizieren.
Welche Schlüsse lassen sich noch aus der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ziehen? Oder herrscht in den Gemeinden jetzt vor allem Resignation?
Erichsen-Wendt: Die KMU 6 ist wichtig, um kirchliches Handeln auf allen Ebenen zu unterstützen, Veränderungen jetzt auf der Basis von Evidenzen und Erwartungen der Menschen mutig voranzutreiben. Derzeit haben wir noch ein gutes Zeitfenster mit genügend Ressourcen und Mitarbeitenden, um Kirche wirklich zu gestalten. Ich sehe das vor allem auch als eine Verpflichtung gegenüber den jungen Menschen in der Kirche und in unserer Gesellschaft. Sich jetzt in den vielen Geschäftigkeiten des kirchlichen Alltags zu unterbrechen, möglichst viele Haupt-, Neben- und Ehrenamtliche einzubeziehen und mit einem guten Gespür für die richtigen Geschwindigkeiten Entscheidungen dafür zu treffen, wie wir weiterhin Kirche sein können und wollen, ist unbedingt wichtig und entspricht auch dem, was Menschen jetzt von Kirche erwarten.
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