Frau Irmscher, wie ist die Lage in der Türkei und Syrien ein Jahr nach dem Erdbeben?
Denise Irmscher: Dank der großen Unterstützung konnte die Diakonie Katastrophenhilfe schnell mit den Nothilfemaßnahmen beginnen. Gemeinsam mit Partnerorganisationen vor Ort konnten Nahrungsmittel- und Sanitärpakete ausgeteilt und provisorische Unterkünfte für Betroffene errichtet werden. Fast drei Millionen Menschen mussten jedoch ihre Häuser verlassen, da diese zerstört oder unbewohnbar waren. Auch heute, ein Jahr nach dem Beben, leben rund 700.000 von ihnen noch immer in Containersiedlungen oder Zelten. Der Bedarf nach Wohnraum ist also noch immer sehr groß. Zudem ist die Versorgung mit sauberem Wasser teilweise noch immer sehr schwierig. Genauso wichtig ist die psychologische Betreuung. Viele Menschen leiden unter Angstzuständen. Einige von ihnen kamen aus Kriegsgebieten und mussten bereits einmal ihre Heimat verlassen. Durch das Erdbeben wurde ihr Leben ein zweites Mal zerstört. Die Mitarbeitenden der Partnerorganisationen arbeiten täglich daran, die Menschen dabei zu unterstützen, mit ihren traumatischen Erfahrungen umzugehen. Das braucht jedoch Zeit.
Vor kurzem warnten Brot für die Welt und Misereor vor einer Kürzung der Bundesmittel für die Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe – was bedeutet das für die Arbeit der Diakonie?
Irmscher: Für Brot für die Welt stellen die Haushaltskürzungen, die der aktuelle Haushaltsausschuss des Bundestages auf den Weg gebracht hat, eine herbe Enttäuschung dar. Die aktuellen globalen Herausforderungen können nur durch eine gemeinsame internationale Zusammenarbeit bewältigt werden. Für diese großen Aufgaben bedarf es ausreichend finanzieller Mittel. Das starke Engagement der Kirchengemeinden hier bei uns ist deshalb weiterhin unerlässlich. Es erlaubt Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, betroffene Menschen weltweit zu erreichen und sie zu unterstützen.
Man hat den Eindruck: Krisen, Konflikte und Kriege, wohin man blickt. Ist die Katastrophenhilfe tatsächlich immer mehr gefordert oder sehen Sie auch positive Entwicklungen?
Irmscher: Die Arbeit der Diakonie Katastrophenhilfe ist so wichtig wie nie zuvor. Unter anderem verschärft der globale Klimawandel bestehende Krisen und Notlagen in weiten Teilen der Welt. Beispiel Pakistan: Bei der Überschwemmungskatastrophe 2022 stand rund ein Drittel des Landes unter Wasser. Auch wenn es noch immer einen hohen Bedarf an Nothilfe gibt, hat sich gezeigt, dass Maßnahmen der Katastrophenvorsorge nach vorherigen Fluten, etwa zuvor befestigte Wege und Brücken, geholfen haben, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Ein weiteres Beispiel ist der Südsudan. Hier ist es gelungen, die Selbstversorgung in der Region Cueibet County zu stärken. Mittlerweile werden dort 47 Schulen mit täglichem Schulessen versorgt. In der Vergangenheit wurden die Nahrungsmittel importiert. Jetzt sind die Gemeinden in der Lage, das Schulessen selbst anzubauen und zuzubereiten. Das sind wichtige Schritte, die dafür sorgen, dass Menschen ein selbstbestimmtes und sicheres Leben führen können.
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